Von news.de-Redakteur Jan Grundmann
Artikel vom 21.03.2011
Im Angesicht der nuklearen Katastrophe wirkt Japan hilflos. Etwas Wasser wird verspritzt, harte Fakten über Strahlenwerte aber fehlen, kritisiert Sebastian Pflugbeil von der Gesellschaft für Strahlenschutz. «Der Super-Gau läuft», sagt er. Wie schlimm ist der Atomunfall wirklich?
Langsam ebbt die Japan-Berichterstattung ab. Die Opfer scheinen gezählt, die Aufräumarbeiten laufen an. Doch in Fukushima schwelt die nukleare Katastrophe weiter. Aber es gibt keine harten Fakten, nur dünne Wasserstandsmeldungen.
Ob Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986 oder nun Fukushima Eins: Die Informationspolitik der Behörden verläuft bei allen Atomkatastrophen ähnlich, kritisiert Sebastina Pflugbeil. «Erst wird die Katastrophe lange abgestritten, danach wird sie heruntergespielt. Schließlich wird die Situation als beherrschbar, als im Griff bezeichnet.»
Dem Präsidenten der Gesellschaft für Strahlenschutz fehlen harte Fakten über Radioaktivität in der Gegend. Auf die einzige Messanlage auf dem AKW-Gelände schaut der Kraftwerksbetreiber Tepco selbst. «Tepco ist wenig gesprächig. Die Informationen auf der Website sind trocken wie Zwieback, so entsteht kein vernünfiges Bild.»
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Warum die Rettung von Fukushima bislang scheiterte:
Für Pflugbeil, der selbst als erster Deutscher im Jahr 2001 den Sarkophag von Tschernobyl betrat, sind die Informationen wenig erhellend. «In Fukushima sind wir noch nicht auf einem positiven Weg.» Pflugbeil schenkt den Aussagen über Spritzerfolge und verlegte Notstromleitungen der vergangenen Tage wenig Glauben: «Möglicherweise haben die Japaner die Kettenreaktion etwas verlangsamt. Gelöst ist das Problem noch lange nicht. Die Meldungen sind doch Nullinformationen.»
Die Gefahr eines Super-Gaus sei nicht gebannt, im Gegenteil: «Der Super-Gau läuft.» Ein Gau sei der Unfall, der durch die Sicherheitssysteme eines Atomkraftwerks abgefangen werden könne. «Das ist ja in Fukushima nicht der Fall.» Wenn die Techniker und Ingenieure am Katastrophen-AKW tatsächlich Erfolg hätten, «würden sie es so breit treten, dass niemand die Information übersehen könnte», so Pflugbeil. Bislang allerdings gebe es eher tröpfchenweise Meldungen über die Wassertropfen auf die heißen Stäbe.
Gesprächiger ist dagegen die Internationale Atomenergiebehörde IAEA. Deren Chef Yukiya Amano hat Japan für seinen Umgang mit der Reaktorkatastrophe kritisiert. Amano, der selbst Japaner ist, klagte am Montag, Informationen müssten von den betroffenen Regierungen künftig schneller zur Verfügung gestellt werden und auch internationale Experten müssten ihre Informationen schneller austauschen können.
Gleich danach veröffentlichte die IAEA – und nicht die japanischen Behörden – schockierende Messdaten über radioaktive Verseuchung. Auch außerhalb der 30-Kilometer-Bannzone um Fukushima ist demnach hohe Strahlung gemessen worden. Am Wochenende wurden beispielsweise 58 Kilometer vom Atomkraftwerk Fukushima entfernt eine Strahlung von 5,7 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Dort könnten sich Menschen dort nur rund sieben Tage aufhalten, ohne Gesundheitsrisiken fürchten zu müssen.
Warum Fukushima schlimmer als das Unglück in Harrisburg ist:
Die japanischen Behörden haben Fukushima auf Stufe 5 der Ines-Skala eingeordnet. Damit steht der Unfall im japanischen AKW auf einer Stufe mit dem Unglück im US-Atomreaktor Three Mile Island in Harrisburg.
In Harrisburg gab es im Jahr 1979 zwar eine partielle Kernschmelze, es ist Radioaktivität ausgetreten – mehr als man offiziell zugestanden habe, so Pflugbeil. Es sind auch Menschen zu Schaden gekommen. «Aber das Reaktorgefäß ist intakt geblieben. Nichts ist in die Luft geflogen.» Außerdem war es in Harrisburg ein Unfall-Reaktor – und nicht vier, wie nun in Fukushima. «Die Japaner versuchen, das Ausmaß des Atomunfalls kleinzureden. Im Vergleich zu Fukushima war der Unfall in Harrisburg eine Bagatelle», sagt Pflugbeil jedoch.
Die USA und Frankreich hätten Experten und Beamte der jeweiligen Atomaufsicht zum Unglücksort geschickt – deren Einschätzungen sei viel schlechter als das, was die Japaner herausgeben. Sie haben den Fukushima-Unfall auf Stufe 6 gewertet.
Warum die Abklingbecken die größte Gefahr sind
«Man erfährt wenig darüber, was die schwierigen Punkte angeht: Das sind vor allem die Abklingbecken.» Jeder Reaktor habe in der oberen Etage ein Wasserbecken, in dem die abgebrannten, radioaktiven Brennstäbe zur Kühlung lagern würden. Jahrelang müssen die Brennlemente «ausfeuern», so Pflugbeil. Denn die Stäbe produzierten weiter Wärme und Strahlung durch Kettenreaktion, auch hier sei eine Kernschmelze möglich.
Allerdings ist das Wasser in den Abklingbecken der Fukushima-Reaktoren teilweise verschwunden. Und in den Becken liegt eine gewaltige Masse an Brennelementen. Immer wieder steigt Rauch aus den Reaktoren auf – auch am Dienstag.
«Wenn es nicht gelingt, die Becken zu kühlen, werden sie immer heißer, die Schutzhülle, eine spezielle Metalllegierung, geht kaputt.» Dann liege das gesamte radioaktive Inventar der vergangenen Jahre frei. Das wäre das Todesurteil für die gesamte Anlage, weil aufgrund der hohen Strahlung niemand mehr in die Nähe der Reaktoren kommen dürfe, um gegen die Katastrophe anzukämpfen, sagt Pflugbeil. «Ein Reaktor nach dem anderen würde die Mücke machen.» Ergebnis wäre eine «gigantische Freisetzung von Radioaktivität, noch mehr, als in Tschernobyl frei wurde».
Ein Sarkophag wie in der Ukraine, das wäre ein Szenario für später. «Man wird es irgendwann verkleiden, versuchen, es dichtzumachen.» Allerdings könne dies Jahre dauern, so lange, bis die Temperatur auf ein erträgliches Maß gesunken sei. «Im Moment aber kann niemand in den Reaktor schauen, es gibt nur unscharfe Bilder. Jeder lutscht am Daumen und versucht, die Lage aus der Ferne einzuschätzen.»
Und anschließend gibt es wieder Wasserstandsmeldungen über Spritzmanöver.
iwi/news.de/dpa
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